Mittwoch, 5. August 2009

Wiederbegegnung


Vormittags fand ich es beim Herumräumen in meinem Bücherregal, das schmale, längst vergessene und abgegriffene Bändchen: "Nur eine Rose als Stütze" von Hilde Domin. Später am Tag las ich ein Interview mit ihr in der Frankfurter Rundschau, 2 Monate vor ihrem Tod geführt und jetzt abgedruckt anläßlich ihres 100. Geburtstages. Bei der Lektüre fiel mir ein, daß ich einmal bei einer Lesung von ihr in Frankfurt war, zusammen mit meiner Freundin Heide, es muß Mitte/Ende der achtziger Jahre gewesen sein. Ich erinnerte mich pötzich ganz deutlich an die besondere Atmosphäre dieses Abends mit Hilde Domin: eine kleine alte Dame mit weißem hochgesteckten Haar und sehr wachen Augen; ein Zusammenspiel aus Zartheit und Kraft war sie. Und w i e sie ihre Gedichte vortrug!! Die Texte und die Person waren eins: gelebtes Leben. - Zum 100. Geburtstag gab es am gleichen Tag spätabends einen Film über H.D. im Fernsehen - mit dem Titel "Nur eine Rose als Stütze..", der mehr als bewegend war. Eine junge Filmemacherin (dem Alter nach hätte sie ihre Urenkelin sein können) lernte H.D. zwei Jahre vor ihrem Tod kennen und begleitete sie in ihrem täglichen Leben mit der Kamera. Aus dieser gemeinsamen Zeit entstand dieser wunderbare Film und eine Freundschaft zwischen den beiden Frauen. - Nun folgt das wunderbare Gedicht:

Nur eine Rose als Stütze
Ich richte mir ein Zimmer ein in der Luft
unter den Akrobaten und Vögeln:
mein Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie ein Nest im Wind
auf der äußersten Spitze des Zweigs.

Ich kaufe mir eine Decke aus der zartesten Wolle
der sanftgescheitelten Schafe die
im Mondlicht
wie schimmernde Wolken
über die feste Erde ziehen.

Ich schließe die Augen und hülle mich ein
in das Vlies der verläßlichen Tiere.
Ich will den Sand unter den klenen Hufen spüren
und das Klicken des Riegels hören,
der die Stalltür am Abend schließt.

Aber ich liege in Vogelfedern, hoch ins Leere gewiegt.
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.

Die Gärtnerin liebt Ausflüge in die Poesie, besonders wenn ihr dort Rosen begegnen...

Sonnige Tage wünscht: Jutta


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen